Was einst als Mahnung in wirtschaftswissenschaftlichen Diskursen begann, wird zunehmend zur beängstigenden Realität: Die Schuldenlast westlicher Staaten gleicht heute wieder dem Stand nach dem Zweiten Weltkrieg – und das in Zeiten vermeintlichen Friedens. Besonders alarmierend: Selbst nüchterne Ökonomen, Investmentlegenden und Ratingagenturen schlagen inzwischen Alarm. Ihre Prognosen gleichen Warnleuchten am Armaturenbrett eines überhitzten Motors. Die Schuldenbombe tickt – und niemand scheint in der Lage oder willens, den Countdown zu stoppen.
Im Zentrum dieser gefährlichen Entwicklung steht ein alter Bekannter: der US-Dollar. Noch immer ist die amerikanische Währung die unumstrittene Weltreservewährung, geschaffen von einem Land, das gleichzeitig der größte Schuldner der Geschichte ist. Die USA haben längst ihre fiskalische Stabilität verloren. Laut Internationalem Währungsfonds liegt die Schuldenquote inzwischen bei über 123 Prozent – mit weiter steigender Tendenz. Und während das Haushaltsdefizit der Vereinigten Staaten neue Rekordmarken erreicht, wachsen auch die globalen Risiken: Sollte es in den USA zu einem fiskalischen Kontrollverlust kommen, droht nichts weniger als eine Kernschmelze des globalen Finanzsystems.
Diese Sorge teilt auch Jamie Dimon, Chef der größten US-Bank J.P. Morgan, der seit Monaten offen von einem möglichen Bruch am Bondmarkt warnt. Eine „Rebellion der Finanzmärkte“ sieht er als unausweichlich, wenn die US-Finanzpolitik weiterhin auf einen Schuldenkliff zusteuert. Und tatsächlich: Die politische Polarisierung lähmt Washington. Steuererleichterungen, Zollerhöhungen, aggressive Personalpolitik in der Notenbank – Trumps fiskalischer Kurs gleicht einem Spiel mit dem Feuer.
Europa: Kein sicherer Hafen
Doch wer glaubt, Europa könne sich aus der Misere heraushalten, täuscht sich gewaltig. Auch hier steigen die Schulden. Frankreich etwa, zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, verliert zunehmend die Kontrolle über seine Finanzen. Der Zinsaufschlag französischer Staatsanleihen liegt mittlerweile auf dem Niveau Italiens – ein deutliches Signal des Misstrauens vom Kapitalmarkt. Sollte Frankreich – wie einst Griechenland – auf die Euro-Rettungsschirme zurückgreifen müssen, wären für Deutschland dreistellige Milliardenbeträge in Gefahr.
Auch in Deutschland selbst findet eine abrupte Kehrtwende statt. Nach Jahren stabiler Schuldenquote öffnet man nun wieder die Schleusen. Der politische Konsens dreht sich, weil der vermeintlich günstige Kreditspielraum als letzte Wachstumsoption gesehen wird. Eine trügerische Hoffnung – denn die Zinsen sind längst wieder gestiegen, und mit ihnen die Anfälligkeit des Systems.
Ein gefährlicher Pakt zwischen Politik und Notenbanken
Die wachsende Abhängigkeit der Staaten von billigem Geld bringt auch die Zentralbanken zunehmend in Bedrängnis. In den USA könnte die Federal Reserve unter Trump-treuen Einflüssen zu einer fiskalpolitischen Gefolgschaftsinstitution verkommen. Der neue Kurs: niedrigste Zinsen um jeden Preis – selbst wenn dies die Unabhängigkeit der Notenbank und die Stabilität des Dollars gefährdet.
In Europa wiederum agiert die EZB zwar formal zurückhaltender, doch auch hier zeigt sich: Staaten wie Italien oder bald Frankreich sind auf niedrige Zinsen angewiesen. De facto stabilisiert die EZB längst auch fiskalische Wackelkandidaten. Die viel beschworene Trennung zwischen Geld- und Fiskalpolitik wird zusehends zur Illusion.
Ein globales Pulverfass – und kein Ausweg in Sicht?
Schon ein einziger Vertrauensverlust kann fatale Folgen haben. Der „Truss-Moment“ in Großbritannien 2022 – als der Bondmarkt nach Ankündigung unverantwortlicher Haushaltspläne kollabierte – gilt heute als warnendes Beispiel. Damals brachten Investoren eine Regierung innerhalb von Wochen zu Fall. Und das in einem Land mit stabilen Institutionen und hohem Wohlstand.
Was passiert, wenn ein solches Szenario in den USA oder in der Eurozone eintritt?
Die Antwort ist beunruhigend: Crashende Anleihemärkte, taumelnde Banken und Versicherer, eine neue Schuldenkrise – diesmal ohne rettendes Auffangnetz. Denn auch Notenbanken sind keine Allheilmittel. Die unbegrenzte Geldschöpfung birgt ein anderes, kaum weniger gefährliches Risiko: schleichende Inflation, die das Vertrauen in unsere Währungen zersetzt.
Fazit: Strategiewechsel oder Sturm?
Gita Gopinath, ehemalige Vizechefin des IWF, brachte es kürzlich auf den Punkt: Die Lage ist „schlimmer, als Sie denken“. Ein nachhaltiger Wandel sei notwendig – mehr Wachstum, gezügelte Ausgaben, strukturelle Reformen. Doch dafür braucht es politischen Mut und strategische Weitsicht. Beides ist derzeit Mangelware.
Solange die Schuldenpolitik weiter auf kurzfristigen Erfolg und populistische Versprechen setzt, gleicht das globale Finanzsystem einem Kartenhaus im Wind. Die Frage ist nicht mehr, ob es wackelt – sondern wann und wo es einstürzt.
Eine beängstigend treffende Analyse. Der Vergleich mit dem „Truss-Moment“ zeigt, wie fragil das Vertrauen der Märkte ist. Wenn Notenbanken endgültig zur verlängerten Werkbank der Finanzpolitik verkommen, droht am Ende die Inflation als bittere „Lösung“. Es fehlt der politische Mut für echte Reformen – hüben wie drüben.