Die deutsche Wirtschaft durchläuft weiterhin eine schwierige Phase. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im vierten Quartal 2024 um 0,1 % gesunken, das gesamte Jahr verzeichnet ein Minus von 0,2 %. Gleichzeitig steigen die Unternehmensinsolvenzen stark an, die Inflation bleibt mit 2,6 % vergleichsweise hoch und der Arbeitsmarkt sendet gemischte Signale.
Wir sprechen mit Thomas Bremer, Wirtschaftsexperte und Finanzanalyst, über die aktuelle Lage, die Herausforderungen für 2025 und mögliche Auswege aus der Stagnation.
„Deutschland steckt in einer hartnäckigen Wachstumsfalle“
Herr Bremer, das BIP ist erneut gesunken, und die Wirtschaft wächst nicht. Ist das eine Rezession oder nur eine Flaute?
Thomas Bremer:
Technisch gesehen sprechen wir noch nicht von einer Rezession, da diese zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativen Wachstumsraten erfordert. Aber es ist eine anhaltende Stagnation, die der Wirtschaft zu schaffen macht. Die deutsche Industrie hat ihre Produktion in den letzten drei Monaten um 1,3 % reduziert, während die Auftragseingänge zwar um 1,7 % gestiegen, aber weiterhin sehr volatil sind.
Das große Problem ist, dass es keine klare Wachstumsdynamik gibt. Unternehmen investieren zurückhaltend, Verbraucher sind vorsichtig, und die Unsicherheiten – sowohl geopolitisch als auch wirtschaftlich – bleiben bestehen.
„Die Inflation ist nicht mehr unser größtes Problem – aber ein Problem bleibt sie dennoch“
Die Inflationsrate lag im Dezember bei 2,6 %. Ist das noch besorgniserregend?
Thomas Bremer:
Die Inflation ist spürbar zurückgegangen, aber sie bleibt ein Belastungsfaktor für Konsumenten und Unternehmen. Vor allem Dienstleistungen und steigende Energiepreise sorgen weiterhin für Preisdruck. Gleichzeitig belasten die administrativen Kostensteigerungen, wie etwa die CO2-Bepreisung oder höhere Transportkosten, den Verbraucher zusätzlich.
Die Kerninflation (ohne Energie und Nahrungsmittel) liegt bei 3,3 %, was darauf hindeutet, dass der Preisdruck in vielen Bereichen noch anhält. Das ist insbesondere für den privaten Konsum eine Belastung, der für eine wirtschaftliche Erholung entscheidend wäre.
„Die Unternehmensinsolvenzen sind ein ernstes Warnsignal“
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist um 35,9 % gestiegen. Wie ernst ist die Lage?
Thomas Bremer:
Sehr ernst. Über 18.000 Insolvenzen in den ersten zehn Monaten des Jahres sind ein massiver Anstieg. Das zeigt, dass viele Unternehmen unter der anhaltenden Schwäche der Konjunktur, hohen Finanzierungskosten und sinkender Nachfrage leiden. Besonders besorgniserregend ist, dass sich zunehmend mittelständische und große Unternehmen in finanzieller Notlage befinden.
Dieser Trend wird sich wahrscheinlich 2025 fortsetzen, weil viele Firmen in den letzten Jahren nur durch Hilfsmaßnahmen und günstige Kredite überlebt haben – doch diese Unterstützung fällt jetzt weg.
„Die Industrie steckt in der Krise, der Einzelhandel hält sich wacker“
In welchen Wirtschaftsbereichen sehen Sie die größten Probleme?
Thomas Bremer:
Das größte Problem liegt in der Industrie. Die Produktion im verarbeitenden Gewerbe ist im November zwar leicht gestiegen (+1,5 %), aber über einen längeren Zeitraum betrachtet, bleibt sie rückläufig. Vor allem die Metall-, Automobil- und Maschinenbauindustrie kämpfen mit schwacher Nachfrage.
Der Einzelhandel zeigt sich etwas robuster: Im Dreimonatsvergleich liegt der Umsatz um 2,3 % höher, aber das Weihnachtsgeschäft war schwächer als erwartet. Die Autoverkäufe sind im Dezember stark eingebrochen (-6,2 % im Vergleich zum Vormonat, -7,1 % zum Vorjahr), was zeigt, dass die Konsumenten weiterhin vorsichtig sind.
„Der Arbeitsmarkt bleibt stabil – aber die Nachfrage nach Arbeitskräften sinkt“
Trotz der wirtschaftlichen Schwäche bleibt der Arbeitsmarkt relativ stabil. Ist das ein gutes Zeichen?
Thomas Bremer:
Ja und nein. Die Beschäftigung bleibt hoch, aber die Arbeitslosigkeit steigt dennoch leicht. Zudem nehmen Kurzarbeit und unsichere Beschäftigungsverhältnisse zu. Unternehmen sind zurückhaltend bei Neueinstellungen, und die Nachfrage nach Fachkräften geht zurück.
Das Problem ist: Wenn die Wirtschaft nicht bald wieder wächst, wird sich das auf den Arbeitsmarkt auswirken – dann könnte die Arbeitslosigkeit 2025 deutlich steigen.
„Die Politik muss klare Signale setzen – sonst bleibt die Wirtschaft im Stillstand“
Was muss passieren, damit sich die deutsche Wirtschaft wieder erholt?
Thomas Bremer:
Es braucht klare wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen, die Unternehmen und Verbraucher wieder Vertrauen geben. Dazu gehören:
✅ Investitionsanreize für Unternehmen – insbesondere für Digitalisierung, neue Technologien und Energiewende
✅ Senkung der Steuer- und Abgabenlast für Mittelstand und Verbraucher
✅ Mehr Planungssicherheit in der Energie- und Klimapolitik
✅ Stärkung der Exportwirtschaft, insbesondere durch bessere Handelsabkommen
Die Politik muss bürokratische Hürden abbauen, damit Unternehmen schneller investieren können. Deutschland hat viele strukturelle Stärken – aber sie müssen genutzt werden.
Fazit: Deutschland muss aus der Stagnation ausbrechen
Herr Bremer, was erwarten Sie für 2025?
Thomas Bremer:
Das Jahr 2025 wird entscheidend. Wenn die Politik kluge Entscheidungen trifft und die Unternehmen das Vertrauen zurückgewinnen, kann die Wirtschaft sich stabilisieren und leicht wachsen.
Aber wenn die Unsicherheiten anhalten – sei es durch geopolitische Konflikte, steigende Insolvenzen oder einen schwachen Konsum – droht eine längere wirtschaftliche Stagnation mit allen negativen Folgen für Unternehmen, Beschäftigte und den Standort Deutschland.
Jetzt sind schnelle und entschlossene Maßnahmen gefragt, um die Wirtschaft aus der Wachstumsfalle zu befreien.
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