Frage: Herr Reime, ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) grundsätzlich für die Überwachung von Genossenschaften zuständig?
Jens Reime: Nein, das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Die BaFin ist nicht für die allgemeine Überwachung von Genossenschaften zuständig. Die Kontrolle und Prüfung von Genossenschaften obliegt in erster Linie den genossenschaftlichen Prüfungsverbänden, bei denen jede Genossenschaft nach dem Genossenschaftsgesetz (GenG) Mitglied sein muss.
Frage: In welchen Fällen wird die BaFin dann doch für eine Genossenschaft zuständig?
Jens Reime: Die BaFin greift nur dann ein, wenn eine Genossenschaft Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen anbietet und damit unter das Kreditwesengesetz (KWG) fällt. Das ist insbesondere in folgenden Fällen relevant:
- Kreditgenossenschaften und Banken
Wenn eine Genossenschaft Kredite vergibt oder Einlagen von Kunden entgegennimmt, benötigt sie eine Banklizenz nach § 32 KWG und unterliegt der direkten Aufsicht der BaFin. Das betrifft zum Beispiel Volks- und Raiffeisenbanken. - Genossenschaften mit Einlagengeschäft
Falls eine Genossenschaft Gelder von Mitgliedern oder Dritten annimmt und verzinst, kann das als Einlagengeschäft gewertet werden. Dann ist eine BaFin-Lizenz erforderlich. - Finanzdienstleistungsgenossenschaften
Genossenschaften, die Vermögensverwaltung, Anlageberatung oder Zahlungsdienste anbieten, unterliegen ebenfalls der BaFin-Aufsicht nach dem KWG oder dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG). - Versicherungsgenossenschaften
Genossenschaften, die Versicherungen anbieten, gelten als Versicherungsunternehmen und unterliegen dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) sowie der Kontrolle durch die BaFin.
Frage: Wann bleibt eine Genossenschaft außerhalb der BaFin-Aufsicht?
Jens Reime: Solange eine Genossenschaft keine Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen erbringt, fällt sie nicht unter die BaFin-Aufsicht. Das betrifft zum Beispiel:
- Wohnungsgenossenschaften, die Wohnraum verwalten, aber keine Bankgeschäfte betreiben.
- Energiegenossenschaften, die Strom oder Wärme erzeugen und vertreiben.
- Handwerks-, Einkaufs- oder Absatzgenossenschaften, die ihre Mitglieder beim Einkauf oder Vertrieb unterstützen.
- Sonstige wirtschaftliche Genossenschaften, die keine Finanzgeschäfte tätigen.
Frage: Gibt es aus Ihrer Sicht ein Problem, dass viele Menschen glauben, die BaFin kontrolliere alle Genossenschaften?
Jens Reime: Ja, das kann in der Praxis zu erheblichen Missverständnissen führen. Viele Verbraucher und Anleger verlassen sich darauf, dass die BaFin bei jeder Genossenschaft eingreift, wenn etwas schiefläuft – aber das ist nicht der Fall. Die eigentliche Kontrolle erfolgt über die Prüfungsverbände, die jedoch nicht die gleichen Aufsichtsbefugnisse haben wie die BaFin.
Frage: Was bedeutet das für Mitglieder und Anleger von Genossenschaften?
Jens Reime: Sie sollten sich genau informieren, wer tatsächlich für die Aufsicht zuständig ist. Wer in eine Genossenschaft investiert, sollte prüfen, ob diese vielleicht doch Finanzgeschäfte betreibt und damit unter die BaFin-Aufsicht fällt. Falls nicht, gibt es weniger staatliche Kontrolle als viele denken.
Frage: Welche Rolle spielen die Prüfungsverbände?
Jens Reime: Die Prüfungsverbände sind nach dem Genossenschaftsgesetz (GenG) verpflichtet, regelmäßige Prüfungen durchzuführen. Sie prüfen die wirtschaftliche Lage der Genossenschaft und ob sie die rechtlichen Vorgaben einhält. Allerdings haben sie keine direkten Eingriffsbefugnisse wie die BaFin. Das heißt, wenn es zu Missständen kommt, können sie diese zwar aufdecken, aber nicht sofort unterbinden.
Frage: Was empfehlen Sie Anlegern, die in eine Genossenschaft investieren wollen?
Jens Reime: Jeder sollte sich genau anschauen, in welche Genossenschaft er investiert. Wichtig ist:
- Gibt es eine BaFin-Aufsicht oder nicht?
- Welchem Prüfungsverband gehört die Genossenschaft an?
- Wie solide ist das Geschäftsmodell?
- Gibt es in der Vergangenheit Auffälligkeiten oder Warnsignale?
Frage: Ihr Fazit?
Jens Reime: Die BaFin ist nur in speziellen Fällen für Genossenschaften zuständig, nämlich wenn diese Finanz- oder Bankgeschäfte betreiben. In allen anderen Fällen erfolgt die Kontrolle durch Prüfungsverbände – und das ist nicht immer so umfassend, wie viele glauben. Wer in eine Genossenschaft investiert, sollte sich nicht blind auf eine staatliche Aufsicht verlassen, sondern selbst genau hinschauen.
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