Startseite Allgemeines Brasilien riskiert Umwelt-Eklat: Genehmigung für Öl-Probebohrungen an der Amazonas-Mündung löst Proteststurm aus
Allgemeines

Brasilien riskiert Umwelt-Eklat: Genehmigung für Öl-Probebohrungen an der Amazonas-Mündung löst Proteststurm aus

JJArtes (CC0), Pixabay
Teilen

Inmitten weltweiter Bemühungen um Klimaschutz und Energiewende hat die brasilianische Umweltbehörde Ibama überraschend die Genehmigung für eine Probebohrung nach Erdöl in der Nähe der Amazonas-Mündung erteilt. Der halbstaatliche Energiekonzern Petrobras darf nun in einem der ökologisch sensibelsten Meeresgebiete der Erde Bohrungen durchführen – ein Schritt, der international und im eigenen Land auf scharfe Kritik stößt.

Die Entscheidung markiert einen Wendepunkt in Brasiliens Energiepolitik: Zwischen ökonomischen Interessen, geopolitischem Druck und ökologischer Verantwortung versucht die Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, den Spagat – und droht dabei, ihr grünes Image zu verspielen.

Petrobras auf Schatzsuche im Meer – mitten im Klimazeitalter

Petrobras plant, in einer Tiefe von rund 2.800 Metern unter der Wasseroberfläche nach Öl zu suchen. Das Zielgebiet liegt rund 175 Kilometer vor der Küste des Bundesstaates Amapá, in der Nähe der Stelle, an der der Amazonas in den Atlantik mündet. Dort vermuten Geologen bedeutende Ölvorkommen, die – sollten sie bestätigt werden – Brasilien zu einem der größten Energielieferanten der Welt machen könnten.

Doch was nach wirtschaftlicher Chance klingt, ist aus ökologischer Sicht ein Pulverfass. Die Region ist Heimat eines der weltweit größten und bisher kaum erforschten Korallenriffe, das erst 2016 entdeckt wurde. Das sogenannte Amazonas-Riff erstreckt sich über mehr als 9.000 Quadratkilometer und gilt als einzigartig, weil es an der Schnittstelle zwischen Süß- und Salzwasser liegt. Ein Ölunfall dort, so warnen Experten, wäre kaum einzudämmen – und würde ein marines Ökosystem zerstören, das Wissenschaftler gerade erst zu verstehen beginnen.

Greenpeace: „Das ist ein Verrat an der Klimapolitik“

Umweltorganisationen reagierten mit Fassungslosigkeit auf die Entscheidung. „Brasilien hat einen gefährlichen Schritt in die falsche Richtung unternommen“, erklärte Greenpeace Brasilien. „Dieses Projekt zeigt, dass kurzfristige Profite über den Schutz des Planeten gestellt werden.“

Die Organisation erinnert daran, dass Lula da Silva bei internationalen Gipfeln, etwa auf der COP28 in Dubai, versprochen hatte, den Amazonas-Regenwald zu schützen und Brasilien zu einem globalen Klimavorreiter zu machen. „Wenn die Regierung nun Ölbohrungen an der Mündung des Amazonas zulässt, widerspricht sie ihren eigenen Versprechen“, heißt es weiter.

Auch die indigene Aktivistin Sônia Guajajara, selbst Ministerin für indigene Völker, äußerte sich kritisch: „Diese Entscheidung wurde getroffen, ohne dass die betroffenen Gemeinden gehört wurden. Die Bohrungen bedrohen unser Leben, unser Wasser und unsere Zukunft.“

Ibama knickt ein – oder pragmatische Entscheidung?

Noch im vergangenen Jahr hatte Ibama die Genehmigung verweigert, weil Petrobras die Risiken eines möglichen Ölunfalls nicht ausreichend bewertet habe. Damals hieß es, Notfallpläne und technische Sicherheitsnachweise seien lückenhaft. Jetzt erklärte die Behörde, Petrobras habe „zusätzliche Informationen geliefert“ und die Bedingungen der Lizenz erfüllt.

Kritiker sprechen von politischem Druck. Petrobras ist einer der größten Steuerzahler und Arbeitgeber des Landes – und die Regierung steht unter wachsendem Druck, die Wirtschaft anzukurbeln. Nach Jahren schwachen Wachstums sieht Lula in der Energieproduktion eine Möglichkeit, Investitionen und Arbeitsplätze zu sichern.

Wirtschaftliche Hoffnung trifft ökologische Katastrophe

Brasilien gehört bereits zu den zehn größten Ölproduzenten der Welt. Neue Vorkommen könnten das Land noch stärker in die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen treiben – ein Widerspruch zu den eigenen Klimazielen.

Der Energieexperte Paulo César Lima warnte in der Zeitung Folha de S. Paulo: „Das ist eine riskante Wette. Wenn Brasilien jetzt in neue fossile Projekte investiert, bindet es sich auf Jahrzehnte an eine Industrie, die global auf dem Rückzug ist.“

Internationaler Druck wächst

Auch aus dem Ausland kommen mahnende Worte. Umweltorganisationen in Europa und Nordamerika verweisen darauf, dass der Amazonas nicht nur ein nationales, sondern ein globales Klimaschutzgebiet sei. Seine Ökosysteme speichern Milliarden Tonnen CO₂ und beeinflussen das weltweite Klima. „Wer an der Mündung des Amazonas nach Öl bohrt, spielt mit dem Weltklima“, warnte der WWF.

Die EU hatte Brasilien zuletzt als Partner im Kampf gegen Abholzung und Klimawandel gelobt. Die Ölpläne könnten nun die Verhandlungen über das EU-Mercosur-Handelsabkommen erneut erschweren, das ohnehin wegen Umweltbedenken ins Stocken geraten war.

Ein Test für Lulas Glaubwürdigkeit

Präsident Lula da Silva, der sich einst als Retter des Amazonas inszenierte, steht nun zwischen zwei Fronten: den Erwartungen der Wirtschaft – und den Versprechen, die er der Umweltbewegung gegeben hat. Während er sich international als Klimaschützer präsentiert, wirft ihm die Opposition im eigenen Land vor, „mit zweierlei Zunge“ zu sprechen.

Noch sind es nur Probebohrungen, doch sie könnten der Auftakt zu großangelegter Förderung sein. Und sollte das geschehen, steht fest: Nicht nur Petrobras bohrt dann tief – auch Brasiliens Glaubwürdigkeit in der Klimapolitik würde weiter sinken.

Einmal mehr zeigt sich: In der Mündung des Amazonas geht es längst nicht mehr nur um Öl – es geht um die Frage, welchen Preis ein Land bereit ist, für seine Zukunft zu zahlen.

Kommentar hinterlassen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Ähnliche Beiträge
Allgemeines

Impeachment-Vorstoß und Rüge aus dem Senat: Zwei schlechte Nachrichten für Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr.

US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. erlebte am Montag einen politisch turbulenten Tag:...

Allgemeines

Internationaler Tag der Berge – Ein Blick in die Schweiz: Wo Natur, Kultur und Herausforderungen aufeinandertreffen

Der Internationale Tag der Berge, der jedes Jahr am 11. Dezember begangen...

Allgemeines

Für den guten Zweck: Fast jeder Zweite spendete 2024 – Spendenvolumen steigt deutlich

Deutschland hat 2024 eine deutliche Zunahme bürgerschaftlichen Engagements erlebt. Das Institut der...

Allgemeines

Trump will CNN verkaufen – am liebsten im 2-für-1-Angebot mit der Wahrheit

Donald Trump, bekannt als Präsident, Immobilienmogul und unermüdlicher Gegner von Reality Checks,...