Die Debatte um ein mögliches Sexkaufverbot in Deutschland nimmt Fahrt auf: Nach Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat sich nun auch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) für ein Verbot ausgesprochen. Deutschland dürfe, so Warken, „nicht länger das Bordell Europas“ sein. Der Kauf sexueller Dienstleistungen solle künftig unter Strafe gestellt werden – die Prostituierten selbst sollen hingegen straffrei bleiben und Unterstützung beim Ausstieg erhalten.
Warken bezieht sich damit auf das sogenannte „Nordische Modell“, das bereits in Ländern wie Schweden, Norwegen, Frankreich, Irland, Kanada und Israel umgesetzt wurde. Dieses Konzept kriminalisiert nicht die Sexarbeiterinnen, sondern ihre Kunden – und zielt darauf ab, Prostitution als gesellschaftliches Phänomen schrittweise zu reduzieren, ohne die Betroffenen selbst weiter zu marginalisieren.
Vom liberalen Paradies zum politischen Zankapfel
Deutschland galt lange als eines der liberalsten Länder Europas, was Prostitution betrifft. Seit der Reform des Prostitutionsgesetzes 2002 ist Sexarbeit hierzulande grundsätzlich erlaubt und gilt als Dienstleistung. Bordellbetreiber benötigen seit 2017 eine staatliche Erlaubnis, Prostituierte müssen sich anmelden und regelmäßig gesundheitlich beraten lassen. Doch Kritiker sprechen längst von einem „Scheinschutzgesetz“, das in der Praxis wenig bewirke.
„Weder das Prostitutionsgesetz noch das Prostituiertenschutzgesetz stärken die Rechte der Frauen nachhaltig“, hatte Klöckner jüngst kritisiert. Vielmehr bleibe es bei Zwang, Gewalt und Abhängigkeit, die viele Frauen – insbesondere aus Osteuropa – in der Branche erleben. Auch Warken teilt diese Einschätzung: Ein Sexkaufverbot sei überfällig, um den „Markt für Ausbeutung“ endlich einzudämmen.
Zahlen, die Zweifel nähren
Offiziell sind laut Statistischem Bundesamt rund 32.000 Prostituierte in Deutschland registriert. Doch Schätzungen reichen deutlich höher: Der Bundesrat geht von bis zu 700.000 Sexarbeiterinnen aus. Die Steuergewerkschaft nennt 250.000 als realistischere Zahl. Viele Frauen arbeiten demnach ohne Anmeldung und ohne Schutz, oft in prekären oder gar menschenunwürdigen Verhältnissen.
Gleichzeitig floriert der Markt: Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen Großbordelle legal betrieben werden dürfen. Der Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung bleibt trotz gesetzlicher Vorgaben ein anhaltendes Problem, wie auch die Bundeskriminalstatistik regelmäßig zeigt.
Das Nordische Modell – Ausstieg statt Abstrafung
In Schweden, wo das Modell bereits seit 1999 gilt, ist die Prostitutionsrate deutlich gesunken. Frauen, die aussteigen wollen, erhalten dort staatliche Unterstützung, Bildungsangebote und psychologische Hilfe. Befürworter sehen darin einen Weg, die Machtverhältnisse in der Sexarbeit umzukehren: Nicht die Frauen sollen sich rechtfertigen müssen – sondern die Männer, die bezahlen.
Kritiker warnen jedoch vor Verdrängungseffekten: Prostitution verschwinde nicht, sondern verlagere sich ins Verborgene – mit der Folge, dass Sexarbeiterinnen noch schlechteren Schutz genießen. Auch Beratungsstellen in Deutschland äußern Sorge, dass ein pauschales Verbot mehr Schaden als Nutzen anrichten könnte, wenn keine umfassenden sozialen Hilfsstrukturen geschaffen werden.
Symbolpolitik oder gesellschaftliche Wende?
Mit Warkens Vorstoß hat die CDU das Thema endgültig zur bundespolitischen Debatte gemacht. Ob daraus jedoch ein Gesetzentwurf entsteht, bleibt offen. Innerhalb der Ampel-Koalition gibt es keine einheitliche Position: Während konservative Stimmen ein Verbot fordern, plädieren Teile der SPD und der Grünen für besseren Schutz und mehr Kontrolle, nicht für ein generelles Verbot.
Eines ist aber klar: Die Diskussion um das „Bordell Europas“ zeigt, wie tief die moralische und politische Spaltung in dieser Frage ist. Zwischen dem Anspruch, Frauen zu schützen, und der Realität eines milliardenschweren Marktes bleibt die Frage bestehen, ob sich Deutschland künftig in Richtung Repression oder Reform bewegt.
Und während Politiker noch über Prinzipien diskutieren, arbeiten in den Fenstern der Großstädte weiterhin Tausende Frauen – zwischen Selbstbestimmung und Zwang, zwischen Legalität und Ausbeutung.
Kommentar hinterlassen