Es ist ein Fall, der fast wie aus einem Film klingt – und doch bittere Realität ist: In Graz ist eine Baby-Verwechslung aus dem Jahr 1990 nach mehr als drei Jahrzehnten aufgeklärt worden. Zwei Frauen, die ihr ganzes Leben lang in der falschen Familie aufgewachsen sind, wissen nun endlich, wer ihre leiblichen Eltern sind. Möglich machte das ein DNA-Test, der eine folgenschwere Verwechslung in einer österreichischen Klinik bestätigte.
Wie die beiden heute rund 35 Jahre alten Frauen dem ORF berichteten, haben sie sich erst vor wenigen Wochen zum ersten Mal getroffen – ebenso wie ihre leiblichen Eltern. „Es war ein Schock, aber auch eine Befreiung“, sagte eine der Frauen. „Plötzlich war da jemand, der mir so ähnlich ist – dieselben Augen, dieselbe Stimme.“
Ein Fehler im Brutkasten
Der tragische Irrtum geht zurück auf den Oktober 1990, als die beiden Mädchen in einem Krankenhaus in Graz geboren wurden. Sie kamen als Frühchen zur Welt und mussten zunächst in Brutkästen und Wärmebetten gepflegt werden. Dabei wurden die Säuglinge offenbar versehentlich vertauscht – möglicherweise durch eine fehlerhafte Zuordnung der Namensbänder oder Verwechslungen beim Verlegen zwischen Stationen.
Die betroffenen Mütter erhielten schließlich das jeweils falsche Kind in die Arme – ein Fehler, der über Jahrzehnte nicht bemerkt wurde. Beide Familien lebten in der Annahme, ihre Töchter seien tatsächlich ihre leiblichen Kinder.
Der Verdacht kam Jahrzehnte später
Erst viele Jahre später kamen Zweifel auf. Angehörige bemerkten auffällige Unterschiede im Aussehen und fehlende genetische Ähnlichkeiten, was schließlich zu einer Reihe von Gesprächen und schließlich zu einem DNA-Test führte. Das Ergebnis bestätigte den schmerzhaften Verdacht: Die beiden Frauen waren vertauscht worden.
Eine der betroffenen Mütter schilderte gegenüber der „Kronen Zeitung“, dass sie jahrelang ein „komisches Gefühl“ gehabt habe, dieses aber nie wirklich ernst nehmen wollte. „Man vertraut ja dem Krankenhaus, man denkt: So etwas kann nicht passieren“, sagte sie.
Emotionale Begegnungen nach Jahrzehnten
Als die Wahrheit ans Licht kam, trafen sich die beiden Frauen und ihre leiblichen Familien erstmals persönlich. Laut ORF soll die erste Begegnung hochemotional gewesen sein – Tränen, Umarmungen, aber auch Verunsicherung und Trauer über die verpasste gemeinsame Zeit.
„Es ist, als würde man sein Leben plötzlich doppelt führen – das, das man kannte, und das, das man eigentlich hätte haben sollen“, sagte eine der Frauen. Beide Familien versuchen nun, eine Beziehung zueinander aufzubauen, Schritt für Schritt und ohne Vorwürfe.
Krankenhaus unter Druck
Der Fall hat in Österreich für große Aufmerksamkeit gesorgt und wirft Fragen über die Sicherheitsstandards in Kliniken der damaligen Zeit auf. In den 1990er-Jahren waren elektronische Identifikationssysteme noch nicht üblich; die Zuordnung erfolgte über Handschrift und Armbänder – ein System, das anfällig für menschliche Fehler war.
Das betroffene Krankenhaus äußerte sich bislang nicht öffentlich zu dem Fall. Experten weisen darauf hin, dass eine nachträgliche rechtliche Aufarbeitung schwierig sein dürfte – nach über 30 Jahren sind die meisten Ansprüche verjährt.
Zwischen Verlust und Neuanfang
Für die beiden Frauen bedeutet die Aufklärung eine Mischung aus Erleichterung und Schmerz. Einerseits wissen sie nun endlich, woher sie kommen, andererseits lässt sich die verlorene Zeit nicht zurückholen.
„Ich bin dankbar, die Wahrheit zu kennen“, sagte eine von ihnen im ORF-Interview. „Aber ich trauere auch um ein Leben, das ich nie hatte.“
Trotz allem wollen beide Familien in Kontakt bleiben. Sie sehen in der Aufklärung nicht nur ein Ende, sondern auch einen Neuanfang – und ein Mahnmal dafür, wie wichtig sorgfältige medizinische Abläufe sind.
Der Fall gilt inzwischen als einer der aufsehenerregendsten Krankenhausverwechslungen Österreichs – und als Beispiel dafür, wie moderne DNA-Analysen selbst Jahrzehnte später noch die Wahrheit ans Licht bringen können.
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