Die Gemeinde Kernen im Remstal nimmt Abschied von einem Mann, der gleich zwei Weltkriege, das Wirtschaftswunder, den Mauerfall und das digitale Zeitalter erlebt hat: Karl Haidle, der älteste bekannte Deutsche, ist im Alter von 110 Jahren gestorben. Nur wenige Wochen nach seinem Geburtstag sei er „friedlich eingeschlafen“, teilte die Gemeinde am Sonntag mit.
Ein Jahrhundert Lebenserfahrung
Geboren wurde Haidle im Jahr 1915, zu einer Zeit, als Pferdefuhrwerke noch zum Straßenbild gehörten und das Radio eine technische Sensation war. Er wuchs in einer Winzerfamilie auf, und der Weinbau blieb bis zu seinem letzten Lebensjahr seine große Leidenschaft. Noch im hohen Alter kümmerte er sich regelmäßig um seinen Weinberg, beobachtete die Reben und das Wetter – und wusste genau, wann es Zeit für die Lese war.
Seine Familie beschreibt ihn als einen bodenständigen, lebensfrohen und disziplinierten Menschen, der trotz vieler Herausforderungen nie den Mut verloren habe. „Er war überzeugt, dass Arbeit an der frischen Luft und ein gutes Glas Wein das Leben verlängern“, sagte ein Angehöriger mit einem Schmunzeln.
Wacher Geist, bescheidener Charakter
Haidle galt als ein Mann, der nie stillstand – körperlich wie geistig. Er verfolgte das politische Geschehen, las täglich die Zeitung und konnte bis zuletzt über internationale Entwicklungen mitreden. Auch neue Technologien schreckten ihn nicht: Als über Hundertjähriger ließ er sich von seinen Enkeln das Smartphone erklären – und soll sogar WhatsApp-Nachrichten verschickt haben.
Trotz seines Alters lehnte er jedes Aufheben um seine Person ab. Geburtstagsbesuche von Politikern und Journalisten nahm er mit trockenem Humor hin. „Ich will keinen Rummel, ich will nur meine Ruhe – und gutes Wetter für die Reben“, soll er an seinem 109. Geburtstag gesagt haben.
Eine Generation, die verschwindet
Mit Karl Haidle ist ein Vertreter jener Generation gegangen, die noch aus eigener Erfahrung wusste, wie zerbrechlich Frieden und Wohlstand sein können. Menschen wie er, die mit Entbehrung und Wiederaufbau groß wurden, stehen für Werte wie Pflichtbewusstsein, Dankbarkeit und Bescheidenheit – Tugenden, die in unserer schnelllebigen Zeit fast altmodisch wirken, aber gerade deshalb inspirieren.
Die Gemeinde Kernen würdigte Haidle als „einen außergewöhnlichen Menschen mit wachem Geist und großem Herzen“. Sein langes Leben, so Bürgermeister Benedikt Paulowitsch, sei „ein Zeugnis für Lebensmut, Gelassenheit und die Kunst, im Kleinen das Große zu sehen“.
Karl Haidle hinterlässt seine Familie, zahlreiche Freunde und Nachbarn – und die Erinnerung an ein Leben, das Generationen überdauerte. Seine letzte Ruhe soll er dort finden, wo er am liebsten war: im Remstal, umgeben von Weinbergen, die ihn über ein Jahrhundert lang begleiteten.
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