Herr Forbe, die Zahl der Asylanträge in der EU ist 2024 um 11 Prozent gesunken, vor allem, weil Deutschland deutlich weniger Anträge verzeichnete. Ist das ein Erfolg der verschärften Grenzpolitik?
Ulf Forbe:
Das kommt darauf an, was man unter Erfolg versteht. Ja, es gibt weniger Anträge, aber das heißt nicht, dass es weniger Menschen gibt, die Schutz suchen. Viele stranden jetzt in anderen Ländern oder hängen in Staaten wie Tunesien oder Libyen fest – oft unter unmenschlichen Bedingungen. Die EU lagert das Problem zunehmend aus, anstatt es nachhaltig zu lösen.
Deutschland stellt immer noch knapp ein Viertel aller Asylanträge in der EU. Ist das fair?
Fairness ist eine Frage der Perspektive. Deutschland ist das bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste Land der EU. Dass es mehr Anträge gibt als in kleineren Staaten, ist logisch. Zudem gehen viele Asylsuchende dorthin, wo sie bereits familiäre Kontakte haben. Die Vorstellung, dass man Migration einfach „gerecht“ aufteilen kann, ist illusorisch.
Die Anerkennungsquote bleibt mit 42 Prozent fast unverändert. Ist das ein Zeichen für eine funktionierende Asylpolitik?
Das zeigt vor allem, dass sich an den Fluchtursachen nichts geändert hat. Viele Menschen kommen weiterhin aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien oder Afghanistan. Gleichzeitig wird fast die Hälfte der Anträge von Menschen gestellt, die kaum eine Chance auf Schutz haben. Die eigentliche Frage ist: Warum gibt es überhaupt so viele unbegründete Asylanträge? Hier müsste Europa legale Migrationswege schaffen, anstatt sich auf Abschottung zu konzentrieren.
Die EU setzt verstärkt auf Kooperationen mit nordafrikanischen Staaten, um Migration zu verhindern. Ein realistischer Ansatz?
Es ist realistisch, wenn das Ziel ist, Menschen daran zu hindern, überhaupt nach Europa zu kommen. Aber es ist eine moralisch und rechtlich fragwürdige Strategie. In Ländern wie Libyen oder Tunesien gibt es Berichte über Misshandlungen, Ausbeutung und sogar Sklavenhandel mit Migranten. Man kann nicht einerseits die Menschenrechte verteidigen und andererseits mit Regimen kooperieren, die genau diese missachten.
Kritiker fordern, dass Europa stärker zwischen Schutzsuchenden und Wirtschaftsmigranten unterscheidet. Ist das machbar?
Das klingt einfach, ist aber kompliziert. Viele Migranten fliehen nicht nur vor Krieg, sondern auch vor Perspektivlosigkeit. Natürlich kann Europa nicht alle aufnehmen, aber ohne eine ernsthafte Entwicklungspolitik wird sich an den Migrationsbewegungen wenig ändern. Abschottung mag kurzfristig die Zahlen senken, löst aber langfristig kein Problem.
Was wäre eine realistische Alternative zur aktuellen Politik?
Europa müsste legale Einwanderungswege ausbauen, um irreguläre Migration zu verringern. Zudem braucht es eine ehrliche Debatte darüber, welche Arbeitskräfte Europa eigentlich braucht. Viele Jobs in Pflege, Bau oder Landwirtschaft bleiben unbesetzt. Statt Migration als Bedrohung zu sehen, sollte man sie als wirtschaftliche und gesellschaftliche Chance begreifen.
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