Thema: Energieanlagen, Mieterstrom und die Frage, wann jemand als Netzbetreiber gilt
Frage: Herr Iwanow, der Bundesgerichtshof hat mit dem Beschluss vom 13. Dezember 2022 eine Vorlagefrage an den Europäischen Gerichtshof gestellt. Worum geht es im Kern?
Michael Iwanow: Im Mittelpunkt steht die Frage, ob ein Energieversorgungsunternehmen, das Mieterstrom über Blockheizkraftwerke erzeugt und an Mieter verkauft, dabei den Pflichten eines Verteilernetzbetreibers unterliegt – oder nicht. Konkret: Wenn eine Anlage auf einem zusammenhängenden Wohnareal Strom erzeugt, diesen an die Mieter liefert und die Kosten in einem monatlichen Grundentgelt enthalten sind, ist das dann noch eine sogenannte „Kundenanlage“ oder bereits ein reguliertes Verteilernetz?
Frage: Was ist denn der Unterschied zwischen einer Kundenanlage und einem Verteilernetz – juristisch betrachtet?
Iwanow: Eine Kundenanlage ist nach deutschem Energierecht eine Art Mini-Versorgungsnetz, das auf einem begrenzten Gelände liegt, relativ wenige Haushalte versorgt, keine Entgelte für die Netznutzung erhebt und diskriminierungsfrei auch anderen Lieferanten offensteht. Ein Verteilernetz hingegen ist ein reguliertes Netz mit entsprechenden Betreiberpflichten, etwa zu Transparenz, diskriminierungsfreiem Zugang und Entgeltregulierung. Der Status ist wichtig, weil er über Rechte und Pflichten des Betreibers entscheidet – und darüber, ob überhaupt eine Netzanschlusspflicht besteht.
Frage: Warum musste der BGH hier den EuGH einschalten?
Iwanow: Weil es europarechtliche Vorgaben aus der Strombinnenmarktrichtlinie (2019/944) gibt, die nicht eindeutig klären, wo genau die Schwelle zwischen Kundenanlage und Verteilernetz verläuft. Der BGH wollte daher wissen, ob das deutsche Verständnis – also die Ausnahme bestimmter Anlagen vom Netzbetrieb – mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Schließlich geht es um Marktöffnung, Verbraucherschutz, Netzintegration und letztlich auch um Wettbewerb.
Frage: Was war aus Sicht des BGH besonders strittig?
Iwanow: Zum Beispiel, ob es wirklich unbedenklich ist, wenn der Betreiber der Kundenanlage zugleich auch der einzige Stromlieferant ist – und die Mieter über das Grundentgelt automatisch die Infrastruktur mitfinanzieren. Der BGH sah darin potenziell eine Intransparenz oder gar Wettbewerbsverzerrung. Auch die Frage, ob solche dezentralen Modelle zur Umgehung von Netzentgelten führen und andere Verbraucher benachteiligen, war ein Punkt.
Frage: Welche Bedeutung hat der Fall für die Praxis?
Iwanow: Er ist hochrelevant – für Wohnungsunternehmen, Contracting-Anbieter, Stadtwerke und letztlich für Millionen Mieter. Wenn Mieterstrommodelle als Kundenanlagen gelten, sind sie regulatorisch einfacher umzusetzen. Sollte der EuGH aber entscheiden, dass solche Modelle als Verteilernetze einzustufen sind, müssten Betreiber deutlich mehr Pflichten übernehmen. Das könnte Investitionen ausbremsen und die Energiewende auf lokaler Ebene verkomplizieren.
Frage: Wie schätzen Sie persönlich die Lage ein?
Iwanow: Es ist ein klassischer Zielkonflikt: Auf der einen Seite will man dezentrale, effiziente Energieversorgung fördern – auf der anderen Seite muss Fairness und Transparenz im Energiemarkt gewahrt bleiben. Es wird auf die Argumentation des EuGH ankommen, wie weit nationale Ausnahmen gehen dürfen, ohne den Binnenmarkt zu verzerren.
Frage: Wann ist mit einer Entscheidung des EuGH zu rechnen?
Iwanow: Solche Verfahren dauern typischerweise ein bis zwei Jahre. Aber die Weichenstellung wird weit über diesen Einzelfall hinaus Bedeutung haben. Allein deshalb lohnt es sich, das Verfahren aufmerksam zu verfolgen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Iwanow.
Michael Iwanow: Sehr gern.
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