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Großbritannien verstaatlicht letztes großes Stahlwerk – ein Signal gegen China und den freien Markt?

jarmoluk (CC0), Pixabay
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Ein historischer Moment in Schmelzofenhitze: Als das britische Parlament am Osterwochenende zu einer Sondersitzung zurückgerufen wurde, ging es weder um einen Krieg noch um eine royale Krise – sondern um Stahl. Genauer gesagt: um das Werk in Scunthorpe, dem letzten Standort in Großbritannien, an dem noch sogenannter „neuer“ (also nicht recycelter) Stahl produziert wird. Wäre es stillgelegt worden, hätte Großbritannien als einziges G7-Land keine Möglichkeit mehr gehabt, Primärstahl herzustellen – ein symbolträchtiger Verlust.

Im Fokus: die chinesische Firma Jingye, die das Werk 2020 übernommen hatte und nun laut britischer Regierung drohte, keine Rohmaterialien mehr zu bestellen – ein Schritt, der das Werk technisch irreversibel hätte stilllegen können. Also griff die Regierung unter Premierminister Keir Starmer zum Notfallhebel: Übernahme der Kontrolle, Ausschluss der chinesischen Angestellten vom Gelände, vermutlich bald vollständige Verstaatlichung.

Warum das alles? Ganz nüchtern betrachtet: Das Werk verliert fast eine Million Dollar – pro Tag. Chinesischer Stahl überschwemmt die Weltmärkte zu Dumpingpreisen, während britische Energiepreise und Löhne vergleichsweise hoch sind. Ein freier Markt hätte Scunthorpe längst versenkt.

Aber darum geht es längst nicht mehr nur. Die Regierung verteidigt nicht nur 2.700 Arbeitsplätze – sondern ein strategisches Symbol: Stahl als Rückgrat der Infrastruktur, Verteidigung und industriellen Souveränität. Starmer sprach von „Stolz und industriellem Erbe“. Zugleich dient die Aktion als innenpolitisches Schutzschild gegen Nigel Farages rechtspopulistische „Reform UK“, die lautstark Verstaatlichung gefordert hatte – und im Mai bei Lokalwahlen droht, Labour Stimmen abzujagen.

Doch was bedeutet das für die britische Wirtschaftsstrategie? Die Entscheidung fällt, noch bevor die Regierung ihre lang erwartete Industriestrategie vorgestellt hat. Sie wirkt daher überstürzt – aber politisch notwendig. Kritiker werfen der Regierung vor, dass sie in Port Talbot, einem anderen großen Stahlstandort in Wales, eben nicht eingegriffen hat, als dort letztes Jahr Tausende Stellen wegfielen.

Auch geopolitisch ist der Schritt brisant: Die Beziehungen zu China stehen erneut auf dem Prüfstand. Während Ex-Premier Cameron Xi Jinping einst auf ein Pint Bier einlud, wurden unter Boris Johnson bereits Huawei aus dem 5G-Netz verbannt. Finanzministerin Rachel Reeves versuchte zuletzt wieder zaghaft, chinesische Investoren zu umwerben. Doch nun könnte das Misstrauen beider Seiten wachsen.

Fazit: Die Übernahme des Scunthorpe-Werks ist weniger eine radikale Abkehr vom Neoliberalismus als vielmehr ein pragmatischer Rettungsschritt – aus innenpolitischem, strategischem und symbolischem Druck heraus. Es bleibt abzuwarten, ob daraus tatsächlich eine neue Ära „Sicherheitsökonomie“ („securonomics“) erwächst – oder ob Scunthorpe ein Einzelbeispiel bleibt, ein heißer Stahlklotz in einer kalten politischen Realität.

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